Wilhelm von Humboldt (1767-1835)

Wilhelm von Humboldt vor der Universität in Berlin„Humboldt? Kenne ich, der Humboldt-Strom ist nach ihm benannt.“

Nun ja, wer sich nur oberflächlich mit dem Namen Humboldt beschäftigt hat, verknüpft unsere Schule leicht mit dem „falschen“ (Alexander von) Humboldt, aber so falsch liegt man doch nicht, denn„ unser“ Wilhelm von Humboldt bildet mit seinem Bruder Alexander (neben den Grimm- und den Mann-Brüdern) das wohl erstaunlichste Geschwisterpaar der deutschen Kulturgeschichte. Fast scheint es so, als ob sich die Brüder die Forschungswelt aufgeteilt hätten: Alexander wurde zum umfassendsten Kenner der Naturwissenschaften seiner Zeit, und Wilhelm beherrschte alle Bereiche der damaligen Geisteswissenschaften, wobei beide selbstverständlich auch Interesse für das Gebiet des jeweils anderen zeigten.

Wilhelm, der etwas ältere Bruder, wurde 1767 in Potsdam geboren und war Abkömmling einer preußischen Offiziers- und Beamtenfamilie. Er besuchte nie eine reguläre Schule, sondern wurde ausschließlich von sorgfältig ausgewählten Privatlehrern unterrichtet. Der aufgeweckte Junge, schon früh sprach er „tote“ (Latein, Griechisch) und lebende (Französisch) Sprachen fließend, kam in Berliner Salons schnell mit der Aufklärung in Berührung und knüpfte Kontakte mit deren tonangebenden Vertretern (u.a. Moses Mendelssohn). Sein Studium in Göttingen führte ihn dazu das ursprüngliche Studienziel, Jura, zugunsten eines breit angelegten Studiums der Geisteswissenschaften (aber auch der Naturwissenschaften) einzutauschen. Der Begriff Allgemeinbildung, dem er später zur Berühmtheit verhalf, trifft auf ihn in vollem Umfang zu. Seine Offenheit für alle Anregungen war schon zu diesem Zeitpunkt klar erkennbar. Eine Reise ins revolutionäre Frankreich erzeugte bei ihm starkes politisches Interesse, wobei er schnell die progressiven liberalen Ideen bewunderte und deren gewaltsame Umsetzung verurteilte.

1791 heiratete Humboldt die ebenfalls hoch gebildete Caroline von Dacheröden. Er war nicht immer ein vorbildlicher Ehemann, und die Ehe entsprach nicht immer den damaligen Konventionen, aber sie hielt und das Paar bekam acht Kinder.

Aufenthalte in Jena und Weimar führten Humboldt in die unmittelbare Nähe von Schiller und Goethe und damit in das Zentrum der deutschen Klassik.

In den folgenden Jahren war Humboldt längere Zeit (teilweise in diplomatischer Mission als preußischer Gesandter) in verschiedenen europäischen Ländern und deren Hauptstädten tätig (Spanien, Rom, Paris und Wien).

1809, in einer Zeit der tiefsten Erniedrigung Preußens durch Napoleon, schlug Humboldts große Stunde: er wurde (nach heutigem Sprachgebrauch) zum preußischen Kultusminister ernannt, und konnte damit seine wichtigsten Ideen in der Erziehung umsetzen, geprägt vom Liberalismus, der Aufklärung und dem Humanismus. Was waren seine Ziele?

  • Jeder Mensch soll in freier und vernunftgeleiteter Entscheidung zu einer vollwertigen Persönlichkeit werden.
  • Der Weg dahin führt über Bildung im umfassenden Sinn, nicht durch einseitige Spezialisierung.
  • Die vom Staat dazu einzurichtenden Institutionen laufen auf ein dreigliedriges Schulsystem hinaus, dem Elementarunterricht (weitgehend im Sinne der Ideen Pestalozzis), dem Gymnasialunterricht und dem Universitätsstudium.

Humboldt war der Schöpfer des humanistischen Gymnasiums, das es heute nur noch in seinen Ausläufern zu besichtigen gibt, insoweit es einen enormen Schwerpunkt auf den alten Sprachen und Geschichte legte. Durchgesetzt und (noch?) zukunftsfähig sind die spezielle gymnasiale Lehramtsausbildung und das Abitur als Voraussetzung für ein Universitätsstudium.

Mindestens genauso wichtig war die Universitätsreform (mit der Gründung der Berliner Universität, der heutigen Humboldt-Universität, als Krönung), mit der die deutsche Universität ein führendes Modell in Europa, zeitweise vielleicht sogar weltweit, wurde. Freiheit und Einheit von Forschung und Lehre in kleinen Lerngruppen, in völliger Autonomie vom Staat; Spezialisierung, verbunden mit und nicht im Gegensatz zu Allgemeinbildung.

Nur ein Jahr dauerte Humboldts Tätigkeit als Kultusminister, bevor er wieder in den diplomatischen Dienst zurückwechselte. 1819 verließ er, desillusioniert durch zunehmend reaktionäre Tendenzen in Preußen, den Staatsdienst und widmete sich in seinem Lebensmittelpunkt Schloss Tegel bis zu seinem Tod (1835) seinen Privatinteressen, insbesondere der Sprachwissenschaft.

Die Gelehrsamkeit Humboldts auf diesem Gebiet war fast furchteinflößend: 10 Sprachen beherrschte er aktiv (für das Baskische war er ein Wissenschaftspionier), zudem beschäftigte er sich mit einem Dutzend weiterer Sprachen, den Indianersprachen in Amerika, dem Chinesischen und Japanischen in Ostasien, dem indischen Sanskrit und indonesischen Sprachen und Dialekten. Sprache war für ihn der Schlüssel zur Erklärung der menschlichen Kultur.

Wie für alle Forscher gilt auch für Humboldt, dass manche seiner Theorien und Veröffentlichungen im Forschungswettbewerb überholt und revidiert wurden. Aber insgesamt hat sein Werk als ein grandioses Erzeugnis des menschlichen Geistes die Wechselfälle der Geschichte überstanden und dient immer noch als Vorbild oder zumindest als Anregung und Ausgangspunkt für jeden, der im Erziehungsbereich wissenschaftlich und praktisch tätig ist.

Unsere Schule darf stolz darauf sein, und sollte es auch als eine Verpflichtung empfinden, Wilhelm von Humboldt zum Namenspatron zu haben.

 

(Eine erste Einführung in Leben und Werk Wilhelm von Humboldts bietet Peter Berglar in seinen "rowohlts monographien": "Wilhelm von Humboldt", Reinbek bei Hamburg, 7.Auflage, 1996)

Dr. Gerhard Laubscher

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