Edigheimer Gespräche
Im Schuljahr 2008/2009
4. Vortrag
"Ware Bildung. Oder: Schule und Hochschule unter dem Diktat der Ökonomie"
von
Prof. Dr. Jochen Krautz
am 28.04.2009, 19:00 Uhr
in der Aula des WHG
Eintritt frei!
Abstract Vortrag
Bildung gerät zunehmend unter den Druck von Kennzahlen,
"Output"-Kriterien und unpädagogischem Effizienzdenken. Schulen und
Hochschulen werden wie Unternehmen geführt. Der Staat zieht sich aus der
Verantwortung, Konzerne diktieren die Bildungsinhalte. Und am wenigsten
geht es um die Schüler.
Dass man Menschenbildung nicht messen und zählen kann, gerät immer mehr
in Vergessenheit. Bildung wird zur Ware. Es wird immer deutlicher, dass
statt Persönlichkeitsbildung eine Ökonomisierung des Geistes droht:
Bildung wird nicht nur materiell zur Handelsware, zur "Dienstleistung",
sondern Denken und Fühlen werden auf Effizienz, Konkurrenz und ein
unhinterfragtes Mitschwimmen als flexibler, "kompetenter" und natürlich
"kreativer" Arbeitnehmer in globalisierten Konzernen zugerichtet.
Von WTO bis Bertelsmann bestimmen internationale
Wirtschaftsorganisationen und Konzerne unsere derzeitige
Bildungsdebatte. Eine ökonomisierte Bildung droht letztlich zur
geistigen und seelischen Vorbereitung auf weltweite wirtschaftliche
Ausbeutung und Krieg zu werden.
JOCHEN KRAUTZ
WARE BILDUNG
SCHULE UND UNIVERSITÄT UNTER DEM DIKTAT DER ÖKONOMIE
München/Kreuzlingen (Hugendubel, Reihe Diederichs) 2007
255 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-7205-3015-6
ZUSAMMENFASSUNG:
Lehrer und Schüler stöhnen unter PISA-Tests und Vergleichsarbeiten.
Eltern werden nervös, ob ihre Kinder der Schulzeitverkürzung und dem
Konkurrenzdruck gewachsen sind. Wer keinen Nachhilfeunterricht bezahlen
kann, hat Pech gehabt. Und zugleich mischen sich immer öfter und
dreister Wirtschaftsverbände in die Bildungspolitik ein: Schule sei
keine soziale Einrichtung, sondern eine "Dienstleistungsorganisation",
die "fit" machen soll für den Arbeitsmarkt.
Solche und ähnliche Beobachtungen kennt man aus dem Alltag: Bildung
gerät zunehmend unter den Druck von Kennzahlen, "Output"-Kriterien und
unpädagogischem Effizienzdenken. Schulen und Hochschulen werden wie
Unternehmen geführt, Rektoren werden zu Managern. Der Staat zieht sich
aus der Verantwortung, Konzerne diktieren die Bildungsinhalte. Und am
wenigsten geht es um die Schüler. Welche Bildung Kinder und Jugendliche
wirklich brauchen, dass man Menschenbildung nicht messen und zählen
kann, gerät immer mehr in Vergessenheit. Bildung wird zur Ware.
Diese selten zu Ende gedachten Zusammenhänge arbeitet Jochen Krautz in
seiner süffig zu lesenden und allgemein verständlichen Streitschrift
präzise heraus. Anhand zahlreicher Beispiele und mit genauen
Begriffsklärungen analysiert er, was im Bildungswesen wirklich läuft.
Dabei bezieht er selbst klar Position für eine Bildung, die
Unabhängigkeit, Kritikfähigkeit, Menschlichkeit und demokratische
Verantwortung stärkt.
Auf der Basis eines personal begründeten Bildungsbegriffs, der einmal
wieder vor Augen führt, wozu Bildung eigentlich dient, resümiert Krautz
zunächst das Elend aus 30 Jahren Bildungsreform und fordert: "Schluss
mit Reformen!" Statt immer neuer unsinniger Reformen und Verordnungen,
die Lehrer von der Arbeit mit den Kindern abhalten, plädiert er für die
Konzentration auf den Kern des pädagogischen Geschehens. Die Eltern
ermutigt er zugleich, ihre Erziehungsaufgabe wieder bewusster
wahrzunehmen. Nur in der konkreten, alltäglichen Erziehungs- und
Bildungsarbeit von Eltern und Lehrern gemeinsam - statt wie so oft
gegeneinander sei wirkliche Verbesserung von Bildung möglich. PISA
nutzt hierfür gar nichts. Im Gegenteil.
Nach diese Grundlegung seziert Krautz mit scharfer Feder die
"Schlagworte und Blindgänger der Bildungsökonomie": Nicht nur der
PISA-Wahn wird auf den Boden gebracht, sondern auch die überall
kursierende Schlagworte von "lebenslangem Lernen", "Kompetenzen",
"Bildungsstandards" und "Qualitätsentwicklung" bis zu "Humankapital",
"Output-Orientierung" und "Autonomie" werden klar als Instrumente eines
ökonomistisch verengten Bildungsbegriffs analysiert.
Anhand reichlicher und anschaulicher Beispiele aus der Praxis macht
Krautz klar, dass statt Persönlichkeitsbildung eine Ökonomisierung des
Geistes droht: Bildung wird nicht nur materiell zur Handelsware, zur
"Dienstleistung", sondern Denken und Fühlen werden auf Effizienz,
Konkurrenz und ein unhinterfragtes Mitschwimmen als flexibler,
"kompetenter" und natürlich "kreativer" Arbeitsnehmer in globalisierten
Konzernen zugerichtet. Solche ökonomisierte Bildung erscheint letztlich
als geistige und seelische Vorbereitung auf weltweite wirtschaftliche
Ausbeutung und Krieg.
Aus der systematischen Zusammenschau der Phänomene und ihrer
Hintergründe ergibt sich ein Gesamtbild, das mehr stutzig macht: Dass
und wie von WTO bis Bertelsmann internationale Wirtschaftsorganisationen
und Konzerne letztlich unsere Bildungsdebatte bestimmen, ist höchst
aufschlussreich.
Schön an dem spannend zu lesenden Buch: Es macht Eltern, Lehrern,
Professoren und Studenten Mut. Mut, sich nicht verrückt machen zu
lassen, selbst zu denken und nicht jeden Unsinn mitzumachen. Mut, den
Menschen wieder in den Mittelpunkt der Bildung zu rücken. Und es stellt
die Frage, wie die Bürger die demokratische Selbstbestimmung über das
Bildungswesen behalten, die von Politikern aller Parteien meistbietend
verkauft wird.
AUTORENINFORMATIONEN:
Prof. Dr. Jochen Krautz
Professor für Kunstpädagogik an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, Alfter bei Bonn
Jg. 1966
Studium der Fächer Kunst und Latein sowie der Erziehungswissenschaften in Köln und Wuppertal
1. und 2. Staatsexamen für das Lehramt Sekundarstufe II und I
mehrjährige Lehrerfahrung an einer Kölner Hauptschule
2000-2003 Studienrat an einem Gymnasium in Brühl (Rheinland) für die Fächer Kunst und Latein
Promotion in Kunstpädagogik an der Bergischen Universität Wuppertal
2003-2008 Akademischer Oberrat im Studiengang Kunst (Lehramt) der Bergischen Universität Wuppertal
seit 2008 Professor für Kunstpädagogik an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, Alfter (bei Bonn)
Schwerpunkte der Lehre:
Kunstpädagogik und Kunstdidaktik; Grundlagen der Kunstwissenschaft; künstlerische Fotografie
Forschung und Publikationen zu:
Grundlagen einer personalen Kunstpädagogik; Hermeneutik
kunstpädagogischer Prozesse; Didaktik und Methodik des Kunstunterrichts
insbesondere Didaktik der Fotografie und digitaler Bilder, Methoden der
Kunstrezeption, Rhetorik medialer Gewaltdarstellungen; Friedenserziehung
in der Kunstpädagogik; Pädagogik des Vor-Bildes; Kritik der
Ökonomisierung von Kunstpädagogik und allgemeiner Bildung
KONTAKT:
Prof. Dr. Jochen Krautz
Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft
Fachbereich Bildungswissenschaft
Johannishof
53347 Alfter
Tel. 02222/9321-241
Fax 02222/9321-189
jochen.krautz@alanus.edu